Seit ich bei Twitter angemeldet bin, ist mein Notizbuch passé. Zumindest, wenn es um Konferenzen, Vorträge oder sonstige Live-Events geht, bei denen Twittern erlaubt oder geduldet ist. Schon seit Längerem ist mir bewusst, dass es dabei nicht nur um eine persönliche Vorliebe geht, sondern um einen Paradigmenwechsel. Angeregt durch ein Posting von Christian Gries auf Facebook, in dem er auf eine Studie aus den USA verlinkte, ist es jetzt endlich mal Thema hier.

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Live zu twittern, statt sich Notizen zu machen, hat aus meiner Sicht mehrere Vorteile. Ich ertappe mich oft dabei, dass ich wild entschlossen bin, über einen Vortrag oder Ähnliches ausführlich zu bloggen – und es dann nicht schaffe. Wenn ich live getwittert habe, habe ich immerhin das Wichtigste trotzdem weitergegeben. Darüber hinaus prägen sich mir die Inhalte besser ein: Die Beschränkung auf 140 Zeichen zwingt mich, aus dem Redefluss des Speakers, der Darbietung etc. sinnvolle „Häppchen“ zu bilden und diese zu durchdenken. Und die 140 Zeichen sehe ich hier keineswegs negativ – ist es nicht einer der beliebtesten Lerntipps, den Stoff zusammenzufassen, danach die Zusammenfassung zusammenzufassen usw., bis der Text kurz genug ist, um ihn auswendig zu lernen?

Auch stilistisch sind meine Tweets meinen Notizen vorzuziehen – denn während ich keine Hemmungen hätte, mein Notizbuch mit Fragmenten zu füttern, mute ich das meinen Followern nicht zu. Verloren geht mir trotz der Flüchtigkeit des Mediums Twitter nichts – denn nach der Veranstaltung kann ich meine Tweets (und im Idealfall die anderer Twitterer) mittels des verwendeten Hashtags suchen und sie, z.B. mit Storify, archivieren. Falls ich glaube, dass sie auch für andere interessant sein könnten, kann ich ihnen meine Sammlung so auch gleich zur Verfügung stellen.

Dann wäre da noch das inhaltliche Phänomen, dass die Autoren der amerikanischen Studie sehr treffend als „co-construction“ beschreiben: Es entsteht ein Dialog über die getwitterten Inhalte. Wenn meine Tweets auf inhaltliche Zustimmung stoßen, bin ich umso sicherer, etwas gelernt zu haben. Wird jedoch spontane Kritik laut, habe ich die Gelegenheit, das Geschriebene noch mal zu überdenken und gegebenenfalls auch nachzufragen. Es entsteht eine Metaebene, ein Gespräch über den und nebem dem Vortrag, wo sich meine Gedanken sonst leicht im Kreis gedreht hätten. (Wer hier an Tweetups denkt, liegt ganz auf meiner Linie. Welche Rolle das beschriebene Phänomen dort spielt, wäre durchaus eine eigene Betrachtung wert.)

Dennoch habe ich mir vor Kurzem wieder ein neues Notizbuch angeschafft, das ich auch häufig benutze. In der Zeit davor hatte ich mir angewöhnt, mir zum Beispiel bei Besprechungen Notizen auf dem iPhone oder iPad zu machen. Es wurde jedoch zunehmend offensichtlich, dass meine Gesprächspartner davon irritiert waren – sie konnten sich nicht sicher sein, dass ich mich nicht nebenbei schon mit anderen Dingen beschäftigte. Das gute alte Notizbuch wirkt also immer noch seriöser…