Vor einer Woche fand in Frankfurt die Tagung „Das Museum von Babel. Wissen und Wissensvermittlung in der digitalen Gesellschaft“ statt, und ich war mit einem Vortrag dabei. Da er vor Ort für hitzige Debatten sorgte, will ich das Thema gern hier noch einmal aufgreifen. Mein Titel war „Der vernetzte Besucher – Wie wird das Smartphone im Museum zur Bereicherung?“ Inspiriert wurde die Themenwahl durch meine regelmäßige Beobachtung, dass viele Museen, die man in sozialen Netzwerken anspricht, oft gar nicht, recht geringschätzig oder erst sehr viel später reagieren. Das ist schade, denn aus meiner Sicht verschwenden sie damit Chancen. (Es gibt aber auch eine steigende Zahl von Museen, die großartig reagieren!)

Der vernetzte Besucher

(Möchten Sie diesen Beitrag lieber hören als lesen? Dann bitte hier entlang zum Podcast.)

 

Mein Vortrag

Die ARD/ZDF-Onlinestudie 2014 ermittelte, dass 50 % der Deutschen das mobile Internet nutzen. Am Diagramm sieht man, dass die Quote bei den jüngeren Deutschen zwar deutlich höher liegt, aber auch bei den Älteren ab 60 Jahren noch gut ein Fünftel im mobilen Internet unterwegs ist.

Quelle: ARD/ZDF-Onlinestudie 2014

Quelle: ARD/ZDF-Onlinestudie 2014

 

Die nächste Zahl ist etwas komplizierter: Ich wollte wissen, wie viele Deutsche in mindestens einem sozialen Netzwerk angemeldet sind. Da in jeder Studie anders definiert wird, welche dazuzählen, habe ich mich letzten Ende für die BITKOM als Quelle entschieden. Sie gibt, gerechnet auf alle deutschen Onliner (zur Zeit der Erfassung etwa drei Viertel der Deutschen) eine Quote von 74 % an. Auch hier sieht man, dass die Jüngeren stärker vertreten sind, aber auch hier wird deutlich, dass das Thema nicht ist, wer als Digital Native und wer als Digital Immigrant gilt. Der mobile Zugriff auf soziale Netzwerke ist ein Thema, das alle Generationen betrifft.

Quelle: Soziale Netzwerke. Eine repräsentative Untersuchung zur Nutzung sozialer Netzwerke im Internet. 2. Auflage. BITKOM. Grafik: Tanja Neumann

Quelle: Soziale Netzwerke. Eine repräsentative Untersuchung zur Nutzung sozialer Netzwerke im Internet. 2. Auflage. BITKOM. Grafik: Tanja Neumann

Daraus folgt für Museen, dass wir nicht mehr davon ausgehen können, dass unsere Besucher erst nach ihrem Besuch mit einigen ausgewählten Bekannten darüber sprechen und nur Journalisten Texte verfassen, die von anderen gelesen werden. Heute wird schon während des Museumsbesuchs darüber geschrieben – und zwar auf mehreren Ebenen. Unsere vernetzten Besucher werden privat kommunizieren (z.B. über WhatsApp und andere Messenger, aber auch via E-Mail und SMS), eventuell aber auch öffentlich. Auf welche Art sie das tun, und ob sie uns in das Gespräch einbeziehen, können wir teilweise mitbestimmen.

Schon in dem Moment, in dem unser vernetzter Besucher das Museum betritt, entscheidet sich manches. Eventuell checkt er auf Foursquare, Facebook oder einem anderen Dienst bei uns ein. Wenn wir Glück haben, twittert er seinen Check-in auch, sodass wir es mitbekommen können. In dem Fall können wir ihn begrüßen – und wenn es nur über das Favorisieren seines Check-in-Tweets sein sollte. Stellt er direkt eine Frage, können wir natürlich direkt mit ihm ins Gespräch kommen. Auf diese Art weiß er auch, dass wir ihn wahrnehmen. Wenn er dagegen das Haus betritt und ein Handy-Verbotsschild sieht, zwingen wir ihn, heimlich zu kommunizieren, und zwar über uns statt mit uns. Denn nicht zu kommunizieren ist für viele keine Option mehr. Es ist zu einem Grundbedürfnis geworden, seine Eindrücke direkt dem eigenen Netzwerk mitzuteilen.

Online gelten für Gespräche im Wesentlichen dieselben Regeln wie offline; auch im Netz wird leichter über Abwesende gelästert. Wenn wir also abwesend sind und Besucher veranlassen, über uns statt mit uns zu sprechen, kann das leichter negativ ausfallen. Kommuniziert unser vernetzter Besucher sein Missfallen an uns öffentlich, werden sich vermutlich andere finden, die sich an unserer Stelle mit ihm unterhalten – und es kann leicht geschehen, dass sie sich darin einig werden, unser Verhalten unhöflich zu finden. Sie fühlen sich dann selbst nicht mehr genötigt, höflich zu bleiben. Die Wortmeldungen werden immer deutlicher; im Extremfall geht das bis zur offenen Beleidigung.

Das sollte natürlich nicht geschehen – und  die gute Nachricht ist, wir können es in den meisten Fällen verhindern. Indem wir uns in das Gespräch einklinken. Wenn wir die Anliegen, die unsere Besucher im Netz äußern, genauso ernst nehmen und ebenso höflich und zuvorkommend behandeln, wie wir das tun würden, wenn sie uns vor Ort ansprechen würden, werden sie auch wohlwollender uns gegenüber sein. Im Idealfall entspinnt sich sogar ein nettes Gespräch, und sie werden einen guten Eindruck von uns behalten. Auf diese Art kann man in vielen Fällen durch konstante Beziehungsarbeit Fürsprecher und Multiplikatoren gewinnen; und genau darin liegt das Potenzial vernetzter Besucher für Museen. Das ist der Grund, warum viele Häuser heute Tweetups veranstalten und Blogger Relations auf ihrer To Do-Liste haben. Solche Veranstaltungen, die gezielt vernetzte Besucher adressieren, können punktuell die Reichweite des Museums in den sozialen Netzwerken enorm steigern und langfristig dem Beziehungsaufbau und der Vernetzung dienen. Sie sind daher ein wertvolles Instrument; aber das ist der zweite Schritt. Erst wenn die Basis gemeistert ist – der tägliche souveräne Umgang mit den Wortmeldungen vernetzter Besucher im Netz -, dann können sie Erfolg haben. Jemand, den wir gestern noch auf Twitter ignoriert und damit vor den Kopf gestoßen haben, wird morgen nicht an unserem Blogger-Treffen teilnehmen und für uns Werbung machen wollen. Nicht mal, wenn er dafür einen Goodie Bag bekommt.

Die Reaktionen

Beginnen wir mit den Reaktionen via Twitter. (Mir ist bewusst, dass Eigenlob stinkt und ich eigentlich nichts Neues oder Revolutionäres gesagt habe. Das Einfügen von zwei Tweets als Beispiel scheint mir an dieser Stelle nötig, um den Kontrast zwischen dem Echo im Netz und dem vor Ort deutlich zu machen.)

Dann wären da die Reaktionen vor Ort. Ich werte positiv, dass es viele waren. In der Diskussion, die sich eigentlich auf alle vier Vorträge des Panels beziehen sollte, entfiel der Löwenanteil der Fragen und Einwände auf mich. Hier die Hauptargumente:

1. „Wenn die dann negativ über uns reden, melden wir uns bei diesen Social Media doch gar nicht erst an!“

Können Sie machen. Das hindert die Leute aber nicht daran, über Sie zu reden – Sie nehmen sich nur selbst die Chance, mitzureden.

2. „Das ist doch ganz schön unverschämt von diesen vernetzten Besuchern. Im Museum können Sie als Besucher doch auch nicht jederzeit den Direktor sprechen!“

Stimmt. Aber es ist auch in den seltensten Fällen der Direktor, der twittert. Und wenn Ihre Besucher vor Ort Fragen haben oder mit den Museumsführern/dem Aufsichtspersonal/dem Ticketverkäufer sprechen wollen, setze ich mal voraus, dass diese Antwort geben!

3. „Wie sollen kleine Museen das denn machen? Für die Großen ist das ja einfach, aber wir können doch nicht überall angemeldet sein!“

Richtig. Allerdings ist das kein spezifisches Social Media-Problem. Kleinere Häuser haben es schwerer, Ausstellungen auf dem Stand der Technik zu machen, verwenden für Forschung, Öffentlichkeitsarbeit etc. geringere Mittel – also natürlich auch in den sozialen Medien. Es ist aber auch nicht nötig, überall angemeldet und aktiv zu sein. Man kann auch mit Alerts arbeiten und/oder jemanden, der besser vernetzt ist, bitten, ein Auge darauf zu haben.

4. „Ich hasse das, wenn diese Jugendlichen auf ihren Smartphones rumdrücken. Im Museum haben die nichts zu suchen!“

Wenn Sie eine neue Technologie nicht mögen, bringt sie das nicht zum Verschwinden. Wie wir eingangs gesehen haben, ist die Smartphone-Nutzung eine Realität – und zwar nicht nur bei Jugendlichen. Und auch im Museum kann ihre Benutzung durchaus Sinn machen. Statt sie pauschal zu verbieten, sollten wir lieber vermitteln, in welchen Situationen welche Aktivitäten damit okay sind. Im Museum dürfen keine Handys klingeln. Wer sie aber lautlos benutzt, etwa um sich Notizen zu machen oder Exponate zu fotografieren, belästigt aus meiner Sicht damit niemanden. (Während meines Vortrags und der darauf folgenden Diskussion klingelten übrigens mehrere Handys. Keins davon gehörte einem Jugendlichen, und schon gar nicht einem der anwesenden Twitterer. Das ist auch eine Form von Medienkompetenz.)

5. „Aber da müssen Sie ja jederzeit den Direktor erreichen können! Sie können doch nicht eigenmächtig nach außen kommunizieren!“

Wenn Ihr Pressereferent jedes Mal den Direktor einbeziehen muss, bevor er ans Telefon geht, und wenn ihre Besucherbetreuer ihn jedes Mal kontaktieren müssen, bevor sie Fragen von Besuchern beantworten, dann haben Sie Recht. Wenn Sie darauf vertrauen können, dass die Mitarbeiter Ihres Hauses ihren Job beherrschen und wissen, wann sie sich rückversichern müssen und wann sie selbständig handeln können, dann sind auch Fragen in den sozialen Medien selten ein Problem.

6. „Wie soll das denn zeitlich funktionieren? Wenn man da auch am Wochenende reagieren muss, muss das ja im Arbeitsvertrag festgehalten werden!“

Ein sehr guter Hinweis! Ja, wenn Social Media zu Ihrem Aufgabenbereich im Museum gehören, dann sollte das auch in Ihrem Arbeitsvertrag stehen. Sie sollten dann dafür qualifiziert sein oder die Möglichkeit zur Weiterbildung bekommen, es sollte geregelt sein, wofür Sie ggf. haftbar sind (und wofür nicht), und Sie sollten flexible Arbeitszeiten haben. Mir ist bewusst, dass das selten der Fall ist. Aber das sollte sich ändern.

So, und jetzt sind haben Sie das Wort. Wenn Sie über Ihre Erfahrungen mit vernetzten Besuchern berichten möchten oder meine Argumentation kritisieren, bitte gern! Lesen Sie nur bitte vorher noch diesen Beitrag von Tanja Praske – unbedingt inklusive der Kommentare.