Vom Sonntag, dem 6. Mai, bis Mittwoch, dem 9. Mai 2012 fand in Stuttgart die Jahrestagung des Deutschen Museumsbunds statt. Mit 420 Anmeldungen konnte der Deutsche Museumsbund einen neuen Rekord verbuchen.

Von der Tagung wurde getwittert, allerdings gab es leider nur Einzelabsprachen über den Hashtag, sodass schließlich #DMB, #dmb12 und #dmb012 koexistierten. Ich habe in mühevoller Kleinarbeit (!) alle Tweets, die ich noch finden konnte, mit Storify archiviert – eine Art „eingefrorene Twitterwall“ gibt es daher hier. Vielleicht ganz nett für diejenigen, die keinen eigenen Twitter-Account haben, nicht wussten, dass getwittert werden würde oder auch einfach alle, die (wie ich selbst) erst nach und nach gemerkt haben, dass es mehrere Hashtags gab. Sollte jemand noch weitere Hashtags benutzt oder entdeckt haben, freue ich mich über Hinweise oder Ergänzungen!

Ich selbst war nur Montag und Dienstag in Stuttgart, deshalb kann und will ich hier keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Alle Vorträge und Foren zu resümieren wäre auch allein schon aufgrund der parallelen Panels nicht von einer Person zu leisten. Wer die Tagung Schritt für Schritt nachvollziehen möchte, ist herzlich eingeladen, sich die Tweetsammlung auf Storify anzusehen. Hier möchte ich einfach einige Punkte herauszugreifen, die mir an den beiden Tagen wichtig und/oder bemerkenswert erschienen.

1. Das Thema der Tagung lautete „Alle Welt im Museum? Museen in der pluralen Gesellschaft“, und schon bei den Eröffnungsreden wurde die Forderung laut, das Fragezeichen durch ein Ausrufezeichen zu ersetzen. Ich selbst hatte unter „plurale Gesellschaft“ ein breites Spektrum verstanden, dachte an verschiedene Bildungsstände, soziale Gruppen, Interessenskonflikte zwischen divergenten Zielgruppen (etwa Barrierefreiheit hier, hoher ästhetischer und inhaltlicher Anspruch da) und dergleichen mehr – tatsächlich war das Thema der Tagung aber der Umgang mit dem Phänomen Migration. Zu meiner Erleichterung konnte ich in Gesprächen in den Pausen, aber auch durch gelegentliche fragende Einwürfen aus dem Publikum feststellen, dass ich nicht als Einzige etwas anderes erwartet hatte. Das Thema Migration wurde dafür vielschichtig und ausführlich aus verschiedenen Blickwinkeln durchleuchtet.

2. Die zweite Denkschrift des Deutschen Museumsbunds, „Museen zwischen Qualität und Relevanz“ wurde den Tagungsteilnehmern kostenlos überreicht. Eine Tagung, auf der das Werk und damit auch die Zukunft der deutschen Museen diskutiert werden soll, wird im Herbst voraussichtlich in Dresden stattfinden.

3. Etwas ironisch war, dass vier der fünf Eröffnungsredner über den „Kulturinfarkt“ sprachen – und alle betonten, dass das Buch weder eine gesellschaftliche noch eine politische Relevanz habe und keinesfalls ernst zu nehmen sei. Wenn ein Buch nun so unwichtig ist, dass man keine Rede über den Kulturbetrieb mehr halten kann, ohne zu betonen, dass es unwichtig ist – muss ich noch weiterreden?

4. Migrationsausstellungen gibt es in Deutschland seit 1972, die Erste war laut Dr. Joachim Baur die Gastarbeiter-Ausstellung im Zuge des Hessentags in Marburg. Das Thema erlebte seit den 1990ern einen Boom.

5. Neben Sonderausstellungen, die sich dezidiert mit Migration beschäftigen, gibt es immer mehr Ausstellungen (auch Dauerausstellungen), die Migration als einen narrativen Stang einweben.

6. Allgemeiner Konsens schien zu sein, dass Museen versuchen sollten, „die Migranten“ als Publikum zu gewinnen. Es wurde dann durchaus ausführlich besprochen und wissenschaftlich untermauert, dass es sich bei Migranten nicht um eine homogene Gruppe handelt. Dennoch ging die Diskussion meiner Meinung nach in mindestens einem Punkt am Kern des Problems vorbei: die Bildung wurde nicht beachtet. Ich will hier sicher keine Klischees über „bildungsferne Schichten“ bemühen, aber dennoch lässt sich nicht recht leugnen, dass etwa der Sprachkompetenz in diesem Zusammenhang eine zentrale Bedeutung zukommt. Jemand, der die deutsche Sprache souverän beherrscht, wird mit höherer Wahrscheinlichkeit ins Museum finden und die Angebote der Institution wahrnehmen können und wollen als jemand, der über diese Fähigkeit nicht verfügt. Nebenbei ist es ja nicht ganz zutreffend, dass Migranten prinzipiell nicht ins Museum gehen, während alle Deutschen dies regelmäßig tun.

7. Erhellend war in meinen Augen der Vortrag von Dr. Mark Terkessidis am Dienstag. Er erklärte, dass der etablierte Migrationsdiskurs primär die Migrationsphänomene der 1950er und 1960er erfasse und damit veraltet sei. Für die heutige Zeit sprach er von einer postmigrantischen Gesellschaft, in der Spezialprogramme für Migranten, wie sie von einigen Museen heute aktuell angeboten werden, nicht mehr benötigt würden. Er forderte, dass Museen dazu übergehen sollten, die heutigen gesellschaftlichen Strukturen auf ihre Institution zu übertragen – auch in Bezug auf die Personalstruktur. Aktuell seien Museen Parallelgesellschaften, die losgelöst von der sozialen Realität existierten, und so hätten sie keine Zukunft. Der Vortrag endete mit der Aufforderung, keine Angst vor Veränderungen zu haben und einem schlichten, aber deutlichen „Packen Sie’s an!“

8. Ich fühlte mich von Terkessidis‘ Aufruf unwillkürlich an die Debatte um den Social Media-Einsatz der Museen erinnert. Das Web 2.0 kam leider meines Wissens nur in der Abschlussrede des Präsidenten Dr. Volker Rodekamp zur Sprache – und da leider wie folgt:

9. Schön wäre gewesen, wenn die Reden etwas kürzer ausgefallen wären – das soll kein Angriff gegen die Redner sein, mir geht es darum, dass so selten Zeit für Fragen und Diskussionen blieb.

10. Angenehm überrascht hat mich die abschließende Diskussion der Tagung, für die großzügige fünfzehn Minuten eingeplant waren. Denn als die Moderatorin Vertreter der Fachgruppen aufs Podium bat, kam aus dem Publikum die Anregung, zwei der Redner, darunter Herrn Terkessidis, dazuzuholen – und der Vorschlag wurde spontan angenommen.

11. Die nächste Jahrestagung vom 5. bis 8. Mai 2013 in München stattfinden.

Ein Dankeschön geht zum Abschluss an meine Mittwitterer, darunter speziell die zwei Museen, die sich an der Debatte via Twitter beteiligt haben: Das einzige Museum, das meines Wissens von der Tagung live getwittert hat, war das Stadtmuseum Stuttgart, dessen Eröffnung 2016 auf dem Plan steht. Über Twitter aus der Entfernung mitgelesen und mitdiskutiert hat ebenfalls genau ein Museum – das Currywurstmuseum Berlin. Danke an die beiden Vorreiter – ich würde mir wünschen, dass nächstes Jahr ein paar Smartphones oder Tablets mehr vor Ort zum Glühen gebracht werden, und dass in Büros oder Ausstellungsräumen deutschlandweit Kollegen die Gelegenheit nutzen, virtuell dabeizusein!